2. Verhalten bei Erstattung von Befund und Gutachten, insbesondere über gerichtlichen (staatsanwaltschaftlichen, verwaltungsbehördlichen) Auftrag
2.1 Der Sachverständige hat die ihm vom Gericht (von der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde) für seine Gutachterarbeit erteilten Fristen einzuhalten. Insbesondere hat der Sachverständige nach seiner Bestellung unverzüglich zu prüfen, ob er den ihm erteilten Auftrag innerhalb der festgesetzten Frist verlässlich erfüllen kann.
Unvermeidbare Fristüberschreitungen hat der Sachverständige dem Gericht (der Staatsanwaltschaft oder Verwaltungsbehörde) sofort bei Bekanntwerden des Verzögerungsgrundes - jedenfalls vor Ablauf der Frist - mit einem begründeten Ersuchen um Fristerstreckung mitzuteilen. Eine ausdrückliche Regelung dieser Mitteilungspflicht enthält § 357 Abs 1 ZPO.
2.2 Der Sachverständige hat nach seiner Beauftragung unverzüglich und - soweit erforderlich - durch ein erstes Aktenstudium oder durch erste informative Ermittlungen zu prüfen, ob er für den Gutachtensauftrag die erforderliche Sachkompetenz besitzt. Bei Zweifel an seiner Sachkompetenz hat der Sachverständige die Übernahme des Auftrages abzulehnen. Bestehen solche Zweifel für einzelne Teile des Gutachtensauftrages, ist der Auftraggeber darüber zu informieren und ihm die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen (die Einholung eines Hilfsgutachtens) vorzuschlagen.
2.3 Der Sachverständige hat dem Auftraggeber unverzüglich und in jedem Stadium der Gutachterarbeit alle Gründe mitzuteilen, die seine Unabhängigkeit, Objektivität und Unparteilichkeit fraglich erscheinen lassen könnten. Die Frage einer allfälligen Befangenheit hat der Sachverständige erstmals nach seiner Beauftragung, und zwar auch ohne entsprechenden Hinweis des Auftraggebers oder einer Partei oder eines Beteiligten, zu prüfen. Darüber hinaus hat der Sachverständige bei seiner Arbeit jeden Anschein einer Befangenheit zu vermeiden.
Gründe, die volle Unbefangenheit des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen, liegen etwa dann vor, wenn der Sachverständige mit einer Partei oder einem Beteiligten verwandtschaftliche, engere freundschaftliche oder enge geschäftliche Beziehungen hat, wenn mit einer Partei oder einem Beteiligten ein Streit besteht oder bestanden hat oder wenn der Sachverständige bereits früher mit der Angelegenheit in irgendeiner Weise befasst war (z.B. als Privatgutachter für eine Partei oder einen Beteiligten).
2.4 Liegen Gründe vor, die die ordnungsgemäße Bearbeitung des Gutachtensauftrags hindern (z. B. in zeitlicher Hinsicht wegen Überlastung mit gerichtlichen oder behördlichen Aufträgen oder sonstiger beruflicher Überlastung, in persönlicher Hinsicht wegen Beeinträchtigung der Gesundheit, Befangenheit oder fehlender fachlicher Kompetenz für den konkreten Auftrag), hat der Sachverständige gegenüber dem Gericht (der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde), die Übernahme des Auftrages unter Darlegung des Hinderungsgrundes unverzüglich abzulehnen. In diesem Fall ist ein allenfalls übersendeter Akt sofort zurückzustellen.
2.5 Der Sachverständige hat bei Erstattung von Befund und Gutachten auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verfahrensökonomie zu beachten. Insbesondere hat er sich an den ihm erteilten Auftrag zu halten und eine Auftragsüberschreitung zu vermeiden. Zweifel über den Umfang und Inhalt des Gutachtensauftrags sind durch Rückfragen beim Auftraggeber aufzuklären (vgl. § 25 Abs 1 GebAG). Dabei ist der Sachverständige verpflichtet, den Auftraggeber auf allfällige weitere, für die Gutachtenserstattung relevante Umstände aufmerksam zu machen; er hat auch diesbezüglich die Weisung des Auftraggebers (etwa durch eine Ergänzung oder Änderung des Gutachtensauftrags) einzuholen.
2.6 Der Sachverständige hat den ihm erteilten Auftrag unter seiner persönlichen Verantwortung auszuführen. Die Heranziehung von seiner Aufsicht unterstehenden Hilfskräften ist zulässig.
Die bloße Sanktionierung der unkontrollierten, selbständigen Arbeit von anderen Personen durch Unterfertigung als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger ist unstatthaft.
2.7 Der Sachverständige hat bei seiner Arbeit stets höflich und geduldig aufzutreten; er muss auch in seinem sprachlichen Ausdruck um Objektivität und Unparteilichkeit bemüht sein.
Der Sachverständige hat bei der Befundaufnahme und seinen Ermittlungen die Rechte von Parteien und sonstigen Beteiligten zu respektieren. Wird der Sachverständige an der Durchführung von notwendigen Erhebungsarbeiten gehindert, hat er darüber unverzüglich dem Gericht (der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde) oder seinem Auftraggeber zu berichten. Vgl dazu die Regelung von Mitwirkungspflichten in § 359 Abs 2 ZPO.
2.8 Bei der Gutachterarbeit hat der von einem Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einer Verwaltungsbehörde beauftragte Sachverständige die einschlägigen Verfahrensvorschriften über den Sachverständigenbeweis zu beachten. Soweit ihm der vom Gericht, der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde erteilte Auftrag keine besondere Vorgangsweise vorschreibt, hat der Sachverständige bei der Befundaufnahme stets den fundamentalen Verfahrensgrundsatz des beiderseitigen Gehörs zu wahren. Bei den vom Sachverständigen im Auftrag des Gerichts (der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde) selbständig geleiteten Ermittlungen hat er auf eine unparteiliche Verfahrensleitung und die Einhaltung der Prinzipien eines fairen Verfahrens zu achten. Vgl dazu die Regelung der Gestaltung der Befundaufnahme in § 127 Abs 2 StPO.
2.9 Der Sachverständige hat in jedem Stadium seiner Gutachterarbeit alles zu unternehmen, um den Fortgang des gerichtlichen (staatsanwaltschaftlichen, verwaltungsbehördlichen) Verfahrens möglichst zu beschleunigen.
2.10 Bei der Befundaufnahme sind folgende Grundsätze zu beachten:
2.10.1. Umfang und Inhalt der Befundaufnahme werden durch den gerichtlichen (staatsanwaltschaftlichen, verwaltungsbehördlichen) Auftrag bestimmt. Ist dessen Inhalt zweifelhaft, ist das Gericht oder die Staatsanwaltschaft (Verwaltungsbehörde) um Präzisierung des Auftrags zu ersuchen (oben 2.5).
2.10.2. Ein Augenschein ist grundsätzlich persönlich vorzunehmen. Die Beiziehung von Hilfskräften ist zulässig (oben 2.6.), sofern die oder der Sachverständige den Ablauf der Untersuchung überblicken, die Hilfskräfte überwachen und ihre Tätigkeit fachlich verantworten kann. In Teilbereichen sind auch Hilfsbefunde als Untersuchungen ohne eigene Begutachtung zulässig.
2.10.3. Bei der Befundaufnahme ist den Verfahrensparteien Gelegenheit zur Anwesenheit zu geben, soweit dies von den Umständen her möglich ist und die Aufnahme des Befunds oder berechtigte Interessen von Personen nicht gefährdet.
2.10.4. Termine für Befundaufnahmen sind allen Verfahrensparteien und Beteiligten bekanntzugeben.
2.10.5. Bei auftretenden Hindernissen aller Art ist das Gericht oder die Staatsanwaltschaft zu informieren und um Abhilfe zu ersuchen (oben 2.7). Körperliche Integrität und Eigentum anderer sind unbedingt zu wahren. Die Anwendung jeglicher Gewalt ist unzulässig.
2.10.6. Bei der Befundaufnahme sind die allgemein anerkannten Regeln der Gutachtensmethodik im betreffenden Fachgebiet zu beachten.
2.10.7. Sachverständige sind bei der Gutachterarbeit zu objektiver, sachlicher und unparteilicher Vorgangsweise verpflichtet.
2.10.8. Sachverständige haben bei ihrer Tätigkeit den Schutz der Privat- und Intimsphäre sowie den Datenschutz zu wahren. Dies gilt insbesondere für Bild-, Film- und Tonaufnahmen. Im Zweifel ist das Einverständnis der davon betroffenen Personen einzuholen.
2.10.9. Die Befundaufnahme ist hinreichend zu dokumentieren. Erschienenen Auskunftspersonen ist über deren Wunsch eine Bestätigung der Anwesenheit zu erteilen.
2.10.10. Übergebene Urkunden und Augenscheinsgegenstände sowie im Rahmen der Befundaufnahme gewonnene Beweismittel sind – soferne sie nicht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft (Verwaltungsbehörde) übermittelt werden – jedenfalls bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens aufzubewahren. Danach sind sie den Berechtigten auszufolgen.
2.10.11. Es wird empfohlen, zum eigenen Gebrauch angefertigte Aufzeichnungen und Unterlagen nach Beendigung der Gutachtertätigkeit zehn Jahre aufzubewahren.
2.11 Bei der Erstattung des Gutachtens sind folgende Grundsätze zu beachten:
2.11.1. Zu Beginn ist die fachliche Kompetenz (Ausbildung und Qualifikation) für die Erfüllung des Gutachtensauftrags darzulegen, wozu im Bereich des Zertifizierungsumfangs der Hinweis auf die aufrechte Zertifizierung genügt. Wenn der Gutachtensauftrag den Zertifizierungsumfang überschreitet, ist darauf hinzuweisen und darzulegen, aus welchen Gründen die für die Erfüllung des Auftrags notwendige Fachkompetenz ungeachtet dessen vorliegt.
2.11.2. Sodann sind der erteilte Auftrag und die daraus abzuleitenden fachlichen Fragen darzustellen.
2.11.3. Der Sachverständige hat anzugeben, welche Leistungen er persönlich erbracht hat. Die für die Erstattung des Gutachtens herangezogenen Hilfskräfte, Hilfsbefunde und Hilfsgutachten sind genau zu bezeichnen.
2.11.4. Es sind Ort und Zeit der Befundaufnahme sowie die erschienenen Personen anzugeben und der Verlauf der Befundaufnahme darzustellen. Dazu gehören insbesondere die durchgeführten Untersuchungen und Erhebungen, die Angaben der Beteiligten und die dem Sachverständigen zur Verfügung gestellten Unterlagen. Falls der Sachverständige für die Erfüllung des Auftrags erforderliche Informationen nicht erhalten konnte, hat er im Gutachten darauf hinzuweisen. Ebenso sind allfällig unterbliebene Untersuchungen, die unter Umständen noch möglich wären, anzuführen, wobei auch die Gründe für diese Vorgangsweise anzugeben sind (Negativkatalog).
2.11.5. Der Sachverständige hat anzugeben, von welchem Sachverhalt er bei der Erstattung seines Gutachtens ausgeht (Befund). Werden alternativ mehrere Sachverhalte angenommen und Varianten gebildet, sind beweiswürdigende Ausführungen zu unterlassen.
2.11.6. Sodann sind die aus dem Befund abgeleiteten fachlichen Schlussfolgerungen und die dabei verwendeten Erfahrungssätze verständlich darzustellen (Gutachten). Das Gutachten hat eine verständliche, nachvollziehbare und überprüfbare Begründung zu enthalten. Der Sachverständige hat die von ihm herangezogenen Quellen (zB Normen, Lehrmeinungen, Praxiserfahrung) anzugeben. Wenn der Sachverständige einzelne Fragen nicht beantworten konnte, hat er im Gutachten darauf hinzuweisen.
2.11.7. Der Sachverständige hat – soweit zweckmäßig – die wesentlichen Ergebnisse seines Gutachtens in einer Zusammenfassung darzustellen.