Kernaussage:
Die Richtigkeit und Verlässlichkeit von Gerichtsgutachten hängt von der Verfügbarkeit
hoch qualifizierter Gutachter, der sorgfältigen Auswahl für das konkrete
Verfahren und einer entsprechenden Kontrolle durch alle Verfahrensbeteiligten
ab. Obwohl unzureichende Honorierung Fehlleistungen nicht rechtfertigen
kann, würde eine Erfüllung der seit vielen Jahren immer wieder angesprochenen
berechtigten Honorarforderungen insbesondere im Bereich derärztlichen Gutachtertätigkeit enormen wirtschaftlichen Druck von den Sachverständigen
nehmen und damit zur Sicherung der hohen Qualität von Gerichtsgutachten
wesentlich beitragen.
Dazu im Einzelnen:
In zahlreichen Medienberichten der letzten Zeit wurden Fragen der Richtigkeit und
Verlässlichkeit der Gutachten von Gerichtssachverständigen sowie ihre Auswirkungen
auf die Rechtsprechung und die davon Betroffenen thematisiert. Als Präsident
des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen, dessen Landesverbänden die
weit überwiegende Zahl der für die Gerichte tätigen zertifizierten Sachverständigen Österreichs angehört, möchte ich dazu folgendes klarstellen:
Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige sind den Gerichten
zur Verfügung stehende Experten, die sich nach mindestens fünfjähriger Berufspraxis
einem gerichtlichen Zertifizierungsverfahren unterziehen und bei dessen erfolgreicher
Absolvierung in die Gerichtssachverständigenliste eingetragen werden. Im
konkreten Gerichtsverfahren werden sie von den Entscheidungsorganen (Richterinnen
und Richtern, Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern) bzw. im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft ausgewählt und stellen diesen ihre
Fachkunde zur Verfügung. Als Beweismittel sind sie bzw ihre Gutachten dabei Erkenntnis-
und Informationsquelle für den Richter, dh. für die Rechtsanwender, als
fachkundige Berater legitimieren sie darüber hinaus die behördliche Entscheidung
durch ihre Qualifikation und Autorität als Fachleute.
Damit sind aber auch die Grenzen der Funktion klar aufgezeigt: Sachverständige
helfen bei der Vorbereitung gerichtlicher Entscheidungen, treffen diese aber niemals
selbst. Sowohl die Tatfrage (hat sich ein bestimmter Sachverhalt, etwa ein Fall von
Kindesmissbrauch ereignet?) als auch die Rechtsfrage (welche Rechtsfolge, etwa
die Bestrafung des Täters, ist daraus abzuleiten?) hat immer die entscheidende
Richterin, der entscheidende Richter, niemals aber die oder der Sachverständige zu
lösen.
Gerade deshalb ist die sorgfältige und verantwortungsbewusste Auswahl des für den
jeweiligen Fall passenden Sachverständigen durch den Richter von so großer Bedeutung – die Fälle sind oft sehr unterschiedlich, ebenso wie die jeweilige berufliche
Erfahrung des zu bestellenden Sachverständigen. Mit der richtigen Auswahl des
passenden Sachverständigen wird oft der Erfolg des Verfahrens entscheidend positiv
oder nachteilig beeinflusst.
Natürlich ist höchste Qualität der Tätigkeit von Sachverständigen unabdingbare Vorraussetzung
einer sachlich richtigen Entscheidung. Eine laufende Qualitätssicherung
ist daher ein zentrales Anliegen des Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen
und seiner Landesverbände. Die ständige Mitarbeit in den Zertifizierungskommissionen,
die von den Verbänden organisierten Fortbildungsmaßnahmen, das Instrument
des Bildungs-Passes, aber letztlich auch die in den Statuten verankerte disziplinäre
Wahrnehmung von Verstößen gegen die Standesregeln dienen diesem Zweck.
Bei der Kritik an den Ergebnissen von Sachverständigengutachten darf zunächst
nicht übersehen werden, dass in komplexen Fällen oft verschiedene Standpunkte
wissenschaftlich vertretbar sind und dass auch in Fragen der Gutachtensmethodik
von anerkannten Experten durchaus unterschiedliche Ansichten vertreten werden
können und auch vertreten werden. Außerdem werden Qualitätsmängel oft von jenen
Parteien oder Verfahrensbeteiligten behauptet, für die sich die gutachterlichen Aussagen
ungünstig auswirken, sodass solche Vorwürfe mit der gebotenen Vorsicht zu
betrachten sind.
Bedauerlicherweise können natürlich im Bereich der Sachverständigenarbeit so wie
auch in anderen Bereichen menschlicher Tätigkeit Fehler nicht ausgeschlossen werden,
dies gilt für den Sachverständigen genauso wie für den Richter. Dazu gibt es
auch stets die Berufungsmöglichkeit im Gerichtsverfahren. Ob in den konkret diskutierten
Fällen eventuell ein Fehlurteil vorliegt, werden die im Zusammenhang damit
laufenden Verfahren zeigen. Ganz allgemein weise ich aber darauf hin, dass die Ursachen
für allfällige Fehlleistungen und deren unerwünschte Folgen in mehreren Bereichen
liegen, die nicht immer klar herausgearbeitet werden.
Zunächst ist der bereits geäußerten Meinung der Richtervereinigung voll zuzustimmen,
dass Sachverständige im Rahmen ihrer Tätigkeit keine Verfahren entscheiden,
sondern dass die Feststellung der für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen und
ihre rechtliche Beurteilung ausschließlich dem Gericht obliegt. Ebenso wie die Qualität
von Gutachtern ex ante im Rahmen ihrer Zertifizierung geprüft wird, ist es Sache
des Gerichts und aller Verfahrensbeteiligten, gutachterliche Leistungen nicht einfach
zu übernehmen, sondern kritisch zu hinterfragen und auf völlige Klarheit zu dringen.
Große Bedeutung kommt daher auch der Auswahl von Sachverständigen in einem
konkreten Verfahren zu. Die verschiedentlich beklagte Überlastung einzelner Experten
kann schon in diesem Stadium dadurch ausgeglichen werden, dass nicht in jedem
Fall dieselbe Person bestellt wird. In den meisten Fachgebieten enthält die Gerichtssachverständigenliste
hinreichend viele Eintragungen, sodass die übrigens
auch verfahrensrechtlich vorgeschriebene Variation bei der Auswahl möglich ist.
Wenn im Verfahren begründete Bedenken gegen die Fachkunde von Sachverständigen
und damit gegen die Richtigkeit der von ihnen erstatteten Gutachten erhoben
werden, liegt es wiederum am Gericht oder der Staatsanwaltschaft, dies zu beurteilen,
daraus trotzdem die richtigen Schlüsse zu ziehen oder das Gutachten entsprechend
zu hinterfragen und allenfalls eine Enthebung und Umbestellung vorzunehmen.
Die häufig angesprochene unzureichende Honorarsituation liegt in einigen Bereichen
tatsächlich vor. Im äußerst sensiblen Bereich ärztlicher Gutachterleistungen im Strafoder
Außerstreitverfahren, aber auch in manchen Konstellationen des Zivilprozesses
ist sie, wie die in diesem Zusammenhang zitierten Pauschalsätze leicht erkennen
lassen, absolut unzumutbar. Trotz jahrzehntelanger intensiver Bestrebungen des
Sachverständigenverbandes und der ärztlichen Standesvertretung ist eine Verbesserung
dieses Zustandes bisher letztlich immer am Gesetzgeber gescheitert, der nicht
bereit war, die hierfür notwendigen Budgetmittel bereitzustellen. Mit aller Klarheit ist
zwar festzuhalten, dass unzureichende Honorierung Sachverständige nach ihrer
Standesauffassung niemals davon entbindet, die ihnen übertragenen Aufgaben mit
aller Sorgfalt sach- und fachgerecht wahrzunehmen. Dennoch würde eine Lösung
der offenen und immer wieder angesprochenen Honorierungsfragen den wirtschaftlichen
Druck auf die Sachverständigen der betroffenen Sparten vermindern und damit
zur Sicherung der hohen Qualität von Gerichtsgutachten wesentlich beitragen.
Dass Fehler bei gerichtlicher Gutachtertätigkeit nie völlig vermeidbar sein werden,
liegt auf der Hand. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Gerichtssachverständige
nach den strengen Regeln der Gutachterhaftung persönlich für
Fehlleistungen haften. Seit 1999 sind sie verpflichtet, zur Abdeckung dieser Haftung
eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und aufrecht zu erhalten. Soweit die bestellende
Behörde eine Mitverantwortung trifft, greifen die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes
ein, sodass auch der Bund als Träger der Gerichtsbarkeit zum
Schadenersatz verpflichtet werden kann.
Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass ich in meiner Zeit als Präsident der
Europäischen Sachverständigenvereinigung EuroExpert feststellen konnte, dass das
System der österreichischen Sachverständigen in Europa auch qualitativ im Spitzenfeld
liegt, weil es nicht nur ausgereift, sondern auch von einer hohen Qualitätskontrolle
geprägt ist.
Der Hauptverband der Gerichtssachverständigen wird auch weiterhin die Ziele der
Qualitätssicherung, aber auch der fairen Entlohnung der österreichischen Gerichtssachverständigen
mit allem Nachdruck verfolgen, damit wir diese qualitative Position
in Europa aufrecht erhalten können.
VProf DI Dr Matthias Rant
Präsident
Hauptverband der allgemein beeideten
und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs
(Hauptverband der Gerichtssachverständigen)
1010 Wien, Doblhoffgasse 3/5
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Fax 01 406 11 56
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