OGH zum Arzttarif: Psychologische Testuntersuchungen
gesondert zu honorieren!
In der Vergangenheit hatte der Oberste Gerichtshof und – diesem folgend – ein Teil
der zweitinstanzlichen Gerichte mehrfach ausgesprochen, dass die Gebühr für
Mühewaltung nach § 43 Abs 1 Z 1 GebAG eine Gesamtgebühr für Befund und
Gutachten sei, weshalb mit der Entlohnung für eine psychiatrische Untersuchung und Begutachtung auch psychodiagnostische Tests abgegolten würden. Ein
anderer Teil der Judikatur gelangte hingegen zum Ergebnis, dass solche
Untersuchungen als nicht vom Ansatz des Tarifs erfasst gesondert zu entlohnen
seien.
Der Hauptverband der Gerichtssachverständigen hat eine neuerlich im
ablehnenden Sinn ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien, mit der
einer Sachverständigen für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin die
Gebühr für eine – ausdrücklich aufgetragene – psychologische Testuntersuchung eines Beschuldigten nicht zuerkannt worden war, zum Anlass genommen, bei der
Generalprokuratur eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes anzuregen.
Die Generalprokuratur vertrat in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde die Ansicht, das mit der
Mühewaltungsgebühr für eine „psychiatrische Untersuchung“ samt Befund und
Gutachten in § 43 Abs 1 Z 1 lit b, d und e GebAG umschriebene Leistungskalkül werde ua durch das Fachgebiet der Sachverständigen definiert. Sein Umfang richte
sich daher nach der entsprechenden Regelung in der Berufsordnung für Ärzte.
Während die bis 31.1.2007 geltende Ärzte-Ausbildungsordnung für das
Fachgebiet der Psychiatrie den Erwerb von Kenntnissen (theoretisches Wissen)
und Fertigkeiten (Erfahrungen in der praktischen Anwendung) über psychiatrischpsychologische
Testverfahren vorgesehen habe, verlangten die seit 1.2.2007 geltende Ärztinnen-/Ärzteausbildungsordnung und die dazu erlassene
Verordnung der Österreichischen Ärztekammer nunmehr bloß den Erwerb von
Kenntnissen, nicht mehr aber von Fertigkeiten. Die Fähigkeit zur Durchführung
psychiatrisch-psychologischer Testuntersuchungen gehöre daher nicht mehr zum
Ausbildungsinhalt des Fachgebiets eines Facharztes für Psychiatrie und
Psychotherapeutische Medizin. Die Durchführung solcher Testuntersuchungen sei
daher auch nicht mehr von dem in § 43 Abs 1 Z 1 lit b, d und e GebAG
umschriebenen Leistungskalkül einer „psychiatrischen Untersuchung“ mit umfasst,
daher mit diesen Tarifansätzen nicht mit abgegolten und gesondert zu vergüten.
Der Oberste Gerichtshof ist in seiner Entscheidung vom 6.5.2010, 12 Os 22/10t,
12 Os 23/10i, der Argumentation der Generalprokuratur gefolgt. Durch die
Abweisung des Antrags auf gesonderte Mühewaltungsgebühr für die psychologische
Testuntersuchung sei das Gesetz verletzt worden. Der zugrundeliegende Beschluss
wurde aufgehoben und die Gebühr der Sachverständigen für die psychologische
Testuntersuchung antragsgemäß mit 180 EUR bestimmt. Nach der Begründung des
OGH handelt es sich bei der psychologischen Testuntersuchung um eine in den §§
43 bis 48 GebAG nicht angeführte Leistung, die gemäß § 49 Abs 1 GebAG mit
der für die nächstähnliche Leistung vorgesehenen Gebühr zu entlohnen sei. Als
„nächstähnliche Leistung“ ist eine neurologische oder psychiatrische
Untersuchung anzusehen.
Die von Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und
Psychotherapeutischen Medizin selbst durchgeführten psychologischen
Testuntersuchungen sind daher neben der tarifmäßigen Entlohnung für Befund
und Gutachten je nach dem quantitativen und qualitativen Aufwand gesondert nach den Tarifansätzen der lit b, d oder e des § 43 Abs 1 Z 1 GebAG zu entlohnen!
Johann Guggenbichler
6.5.2010
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