Im Zuge der Umsetzung der europäischen
Dienstleistungsrichtlinie haben Experten des französischen Normungsinstitutes (AFNOR) im Jahr 2011 ein
Normenvorhaben zum Thema
„Qualität für Gutachten — Allgemeine Anforderungen über Kompetenz für Gutachten“ eingebracht. Dabei war geplant, eine bestehende französische Norm mit selbigem Titel (NF X 50-110) in den europäischen Rang (EN-Norm) zu erheben.
Nach
Bildung eines Expertengremiums beim europäischen Normungsinstitut (CEN), in das das österreichische Normungsinstitut (ASI) Experten, u.a. Mitglieder des Hauptverbands der Gerichtssachverständigen entsandte, wurden die
Inhalte der zu entwickelnden Norm
eingehend diskutiert.
Das Normenvorhaben hatte ursprünglich den Charakter einer
Norm zu Qualitätsmanagementsystemen, wie z.B. ISO 9001. In der Diskussion auf europäischer Ebene erwies sich dieser
Ansatz allerdings
nicht als zielführend, weil die
Organisation und Regelung des
Sachverständigenwesens im europäischen Umfeld zum Teil
sehr große Unterschiede aufweist. So werden beispielsweise in einigen Ländern
Institutionen, Firmen oder Gesellschaften zu
gerichtlichen Sachverständigen bestellt, während etwa im deutschsprachigen Raum der Einsatz von Sachverständigen vor Gericht und bei der Staatsanwaltschaft im Allgemeinen auf
natürliche Personen beschränkt ist. In der nun verabschiedeten Norm
ÖNORM EN 16775 „Sachverständigentätigkeiten – Allgemeine Anforderungen an Sachverständigenleistungen“ wurde daher versucht, einen
Kompromiss auf europäischer Ebene zur Regelung der Tätigkeit jener Sachverständigen zu erzielen, die als
Dienstleiter im öffentlichen und privaten Sektor tätig sind.
Die Norm sieht
Mindestanforderungen wie z.B.
Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Objektivität und Integrität (Pkt 3.1) vor, die
jede Sachverständigentätigkeit erfüllen muss. Die Norm kann auf Sachverständige oder Organisationen jeglicher Größe und Fachrichtung angewendet werden und dient der
Verbesserung der Transparenz und des
Verständnisses zwischen
Auftraggebern und Sachverständigen.
Insbesondere auf Betreiben des
Hauptverbandes der Gerichtssachverständigen wurde die Problematik der Anwendbarkeit einer europäischen Norm im
Spannungsfeld bereits
bestehender nationaler gesetzlicher Regelungen eingehend diskutiert. Da eine
Harmonisierung der europäischen Justizsysteme noch in
weiter Ferne liegt, wurde ein
Kompromiss darin gefunden, dass spezielle
Anforderungen dieser Europäischen Norm
keine Anwendung finden, wenn für
Sachverständigenleistungen obligatorische vertragliche und/oder gesetzliche Rahmenbedingungen und Regelungen gelten; zum Beispiel bei Beratungen, Inspektionen oder Gerichtsverfahren (Pkt 1). Solche Regelungen stellen in Österreich das
Sachverständigen- und Dolmetschergesetz (SDG), wohl auch die
Standesregeln sowie die einschlägigen
Regelungen des Sachverständigenbeweises in den Verfahrensgesetzen dar. Damit ist gewährleistet, dass die in Österreich bestehenden qualitativ hochwertigen
gesetzlichen Rahmenbedingungen für den
Sachverständigenbeweis in keiner Weise angetastet werden.
Wir empfehlen die
Lektüre der Norm EN 16775: 2016 01 15 „Sachverständigentätigkeiten – Allgemeine Anforderungen an Sachverständigenleistungen“, weil diese eine Reihe von
Anhaltspunkten für das
Arbeiten als Sachverständigendienstleister enthalten. Die Norm ist u.a. im
Webshop des Austrian Standards Institute unter
erhältlich.