In seiner Entscheidung vom
7.10.2014, E 707/2014-16 hat sich der
Verfassungsgerichtshof (VfGH) erstmals mit der Problematik des
Amtssachverständigen im Verfahren vor den
Verwaltungsgerichten befasst. Anlassfall war die Bestellung eines
Amtssachverständigen der Tiroler Landesregierung durch das
Tiroler Landesverwaltungsgericht in einem Verfahren über die
Beschwerde einer
Anrainerin gegen die
baubehördliche Bewilligung der Errichtung eines „Pferdepavillons“ auf dem Nachbargrundstück.
Die
Beschwerdeführerin behauptete, durch die Bestellung des
Amtssachverständigen in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf
Gleichheit aller Staatsbürger
vor dem Gesetz gemäß
Art 7 Abs 1 B-VG und auf ein
faires Verfahren im Sinne des
Art 6 EMRK bzw
Art 47 der Grundrechtscharta der EU (GRC) verletzt worden zu sein.
§ 17 des
Tiroler Landesverwaltungsgerichtsgesetzes (TLVwGG), der die Anwendung der Bestimmungen des
AVG über den
Sachverständigenbeweis - und damit mittelbar die
primäre Heranziehung von
Amtssachverständigen - anordnet, sei
verfassungswidrig, weil
Amtssachverständige nicht unabhängig seien und ihre zwingend vorgesehene Beiziehung im Verfahren vor den
Verwaltungsgerichten somit eine Verletzung dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte darstelle.
Der
VfGH entschied, dass allein darin, dass
Amtssachverständige in
dienstlicher Hinsicht weisungsgebunden seien,
kein Grund für den
Anschein einer
Befangenheit liege, seien sie doch hinsichtlich des Inhalts Ihrer
Gutachten an
keine Weisungen gebunden. Auch komme ihren Gutachten im Rahmen der freien Beweiswürdigung
kein erhöhter Beweiswert zu, weshalb auch
keine Verletzung von
Art 6 EMRK zu erkennen sei.
§ 17 TLVwGG verstoße auch
nicht gegen den in
Art 94 Abs 1 B-VG normierten Grundsatz der
Trennung von
Justiz und
Verwaltung, weil
Amtssachverständige zwar
organisatorisch zur
Verwaltung gehörten, im Rahmen ihrer
Gutachtertätigkeit aber nur als
Hilfsorgan des
Verwaltungsgerichts ohne selbständige hoheitliche Befugnisse tätig würden. Auch eine Verletzung des
Gleichheitsgrundsatzes sei zu verneinen. Schließlich sei der Amtssachverständige
im konkreten Fall auch
nicht deshalb
befangen, weil er bereits im Rahmen des Verfahrens zur Änderung des
Flächenwidmungsplans mit dem vorliegenden Sachverhalt befasst gewesen sei, so dass auch aus diesem Grund Art 6 MRK nicht verletzt sei.
Der VfGH betont jedoch auch:
„Aus der
fachlichen Weisungsfreiheit des
Amtssachverständigen bei Erstattung seines
Gutachtens kann
nicht gefolgert werden, dass das
Verwaltungsgericht in jedem Fall Amtssachverständige heranziehen darf. Das Verwaltungsgericht muss vielmehr stets
prüfen, ob ein
Amtssachverständiger unbefangen, unter anderem also
tatsächlich unabhängig von der
Verwaltungsbehörde ist, deren
Bescheid beim Verwaltungsgericht angefochten wird. Ob dies der Fall ist, hat das Verwaltungsgericht stets nach
den Umständen des Einzelfalls mit der
gebotenen Sorgfalt zu untersuchen und zu beurteilen“. Auf Entscheidungen, in denen von einer dem Recht auf ein faires Verfahren widersprechenden
Anscheinsbefangenheit ausgegangen wurde (EGMR Fall Böhnisch Appl. 8658/79 sowie VfSlg- 11.131/1986,16.1807 und 20/2003 sowie VwGH 2004/07/0075), wird hingewiesen. „Dies setzt auch voraus, dass das
Verwaltungsgericht selbst die
Auswahl des Amtssachverständigen vornimmt (und nicht etwa einer anderen Stelle überlässt) und dabei dessen
Qualifikation und das Vorliegen etwaiger
Befangenheitsgründe bzw Gründe für den
Anschein der
Befangenheit dieses Amtssachverständigen prüft“.
Fazit:
Auf die
Unvereinbarkeit eines
Primats des Amtssachverständigen mit einem „
echten“, den
grundrechtlichen Anforderungen entsprechenden
Gerichtsverfahren hat der Verband bereits im Vorfeld der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 vielfach hingewiesen (statt vieler:
Rant/Schmidt, Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit - Konsequenzen für den Sachverständigenbeweis! SV 2012/1, 1 sowie
Krammer, Der Sachverständigenbeweis in einer künftigen Verwaltungsgerichtsbarkeit, SV 2012, 3).
Dieser vom Gesetzgeber dessen ungeachtet auch für das Verfahren vor den
Verwaltungsgerichten normierte
Bestellungsvorrang ist zwar nach dem vorliegenden Erkenntnis
nicht grundsätzlich verfassungswidrig. Die Notwendigkeit der
völligen Unabhängigkeit des
Verwaltungsgerichts bei der
Auswahl des
Sachverständigen wird vom Höchstgericht jedoch ebenso besonders betont, wie die Verpflichtung, die
tatsächliche Unabhängigkeit des Amtssachverständigen von der Verwaltungsbehörde, seine
Qualifikation und das Vorliegen einer allfälligen
Anscheinsbefangenheit in jedem Einzelfall
sorgfältig zu prüfen. Je
intensiver der im konkreten Fall zur Bestellung anstehende Amtssachverständige bereits
mit der Sache befasst war und je
größer sein
Naheverhältnis zu der den bekämpften Bescheid erlassenden
Verwaltungsbehörde ist, desto
weniger wird seine Bestellung durch das
Verwaltungsgericht in Frage kommen. Vor allem die –
im vorliegenden Fall gerade nicht zu beurteilende – Konstellation, dass der
Amtssachverständige bereits im Verfahren vor genau jener
Verwaltungsbehörde ein Gutachten erstattet hat, deren
Bescheid bekämpft wird und die nun
selbst vor dem Verwaltungsgericht
Partei und
Gegner des Beschwerdeführers ist, oder dass er dieser Behörde
angehört oder regelmäßig
zur Verfügung steht, wird regelmäßig eine
Anscheinsbefangenheit des Amtssachverständigen begründen und es
„mit Rücksicht auf die Besonderheit des Falles geboten“ erscheinen lassen
(§ 52 Abs 2 AVG),
im Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht einen
nichtamtlichen Sachverständigen zu bestellen.
Bei dieser Gelegenheit darf einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass mit der seit vielen Jahren bewährten Einrichtung der
allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eine Organisationsform besteht, die den Bedarf der
Gerichte nach
fachlicher Unterstützung auf höchstem Niveau mit den nicht weniger wichtigen Aspekten der
Qualitätssicherung sowie der durch
sachliche und
persönliche Unabhängigkeit garantierten
absoluten Objektivität vereint, wodurch die in diesem Bereich so wichtige Rechtsstaatlichkeit gerichtlicher Verfahren bedeutend gestärkt wird. Diese Vorzüge sollten Grund genug sein, auch in Verfahren bei den
Verwaltungsgerichten vermehrt
allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige als
nichtamtliche Sachverständige heranzuziehen.
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Text der Entscheidung können Sie
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